Einen schlafenden Bootsmann auf der Holzbank zeigt das Foto der MS Altenrhein . Ob die Aufnahme entstand, bevor oder nachdem Erbprinz Gustav Adolf von Schweden (1906 – 1947), Vater des heutigen schwedischen Königs Carl XVI., auf eben dieser Holzbank saß, spielt für Bootsbauer Philipp Govaers von der Michelsen-Werft in Friedrichshafen-Seemoos keine Rolle: Unter anderem anhand dieses Fotos baut er die Inneneinrichtung des ehemaligen Dornier-Arbeitsschiffs nach. Eine Herausforderung, denn es existiert kein einziger Original-Plan.
Die MS Altenrhein und Philipp Govaers. Oder Philipp Govaers und die MS Altenrhein? Dass zwischen den beiden eine besondere Beziehung besteht, merkt man schnell. Sein Großvater hat einst in der Bodan-Werft in Kressbronn gearbeitet, wo auch die MS Altenrhein gebaut wurde. Ob er an dem ehemaligen Dornier-Arbeitsschiff mitgewirkt hat? Philipp Govaers wüsste es zu gerne. Nur leider kann er den Großvater nicht mehr fragen, weil dieser bereits gestorben ist. Dass dieser aber an ähnlich Wertbeständigem wie dem 15 Meter langen und 2,8 Meter breiten Schiff gebaut hat, liegt nahe. „Es ist für mich deshalb besonders schön, dass ich an der MS Altenrhein arbeiten kann.“
Große Vergangenheit
Das Thermometer zeigt 13 Grad Celsius. Philipp Govaers steht in der Halle der Michelsen-Werft vor einem großen Tisch, auf dem lange Papierbahnen liegen. Sie zeigen einen Linienriss, eine Drauf- und eine Seitenansicht. Neben ihm das 15 Meter lange und 2,8 Meter breite Arbeitsschiff, das im Juli 2020 nach Jahrzehnten an den Bodensee zurückgekehrt war. 1928 war es für die Dornier-Werke in Altenrhein mit einem 65 PS (48 kW) starken 6-Zylinder-Maybach-Motor in Dienst gestellt worden. Es diente als Schleppboot für das legendäre Flugschiff Do X und wurde auch für Passagierfahrten zur Do X eingesetzt. Darüber hinaus durften Werftbesucher mit der MS Altenrhein fahren. Auch der Dornier Wal wurde von ihr geschleppt.
In Auftrag gegeben hatte das Boot Flugpionier Claude Dornier . Nach Erkenntnissen des mittlerweile verstorbenen Do X-Kenners Horrmann war Dornier an Bord der Altenrhein, als das Motorboot die Do X am 12. Juli 1929 zu ihrem Jungfernflug begleitete. Auf historischen Fotos ist zu sehen, wie das Boot mit dem schlanken Rumpf und dem hohen Bug unter dem Riesenschiff anlegt. Sie zeigen auch, wie die Altenrhein die gewaltige Do X schleppt – ein letztes Mal, bevor das Flugschiff nach Berlin ins Museum gebracht wird.
Nach seiner Rückkehr an den Bodensee habe der Auftrag für die Werft zunächst gelautet, zwei Planken auszutauschen und auszustäbeln, erzählt Bootsbauer Philipp Govaers. Doch dabei blieb es nicht: Stand jetzt ist seinen Angaben zufolge mehr als die Hälfte des Schiffs neu. „Es war ja wirklich an vielen Stellen kaputt.“ Die Fugen am Bootsrumpf werden in mühevoller Kleinarbeit „freigesägt“, zudem der Polyurethan-Kleb- und Dichtstoff, der irgendwann eingebracht worden war, entfernt. Danach geht es ans „Ausstäbeln“, was vereinfacht bedeutet, dass Leisten in die Fugen eingebracht werden.
Altes Schiff, neue Techniken
Auch der Kiel wird teilweise erneuert. „Als die Altenrhein gebaut wurde, hat man komplett ohne Klebstoffe gearbeitet“, sagt der Bootsbauer. „Wenn wir wie vor 100 Jahren bauen würden, würde es mindestens 20 Jahre dauern, bis die Altenrhein fertig ist. Die Arbeitsweise hat sich geändert, und heute so zu arbeiten ist auch sinnvoller. Trotzdem arbeiten wir auch mit alten Handwerkstechniken.“
Weil die Altenrhein schwimmfähig sein soll, ist „so ziemlich alles sicherheitsrelevant“, wie Philipp Govaers deutlich macht. „Jedes Teil hat eine Funktion, die wichtig ist.“ Im Gegensatz zu früher, als das Schiff das ganze Jahr über im Wasser war, soll es jetzt auch ausgewassert ausgestellt werden können. Das bedeutet wiederum: Es quillt auf, trocknet dann wieder, quillt auf, trocknet dann wieder. „Das ist für jedes Holzboot eine Tortur“, erklärt der Bootsbauer. Die MS Altenrhein sei deshalb fest verleimt worden, um dies zu überstehen.
Neue Sicherheitsstandards
Glück für Eigner David Dornier, einen Enkel von Claude Dornier, dass das Schiff am Bodensee bereits eine Zulassung hatte und auch Fahrgäste transportiert hat. Somit hat es Bestandsschutz. Heute dagegen dürfte ein solches Schiff nicht mehr aus Holz gebaut werden, erläutert Philipp Govaers. Auf Brandschutz beispielsweise muss großer Wert gelegt werden. Der Werft ist deshalb an einer engen Zusammenarbeit mit dem Eigner und dem Schifffahrtsamt, das zum Landratsamt des Bodenseekreises gehört, interessiert. „Nur so kommen wir weiter“, sagt der Bootsbauer.
Der Schiffsrumpf wurde innen bereits mit einer Ein-Komponenten-Farbe gestrichen. Als Nächstes geht es an den Einbau der Schotten. Drei sollen es auf jeden Fall vorne sein. Entstehen soll eine Toilette, ein kleiner Arbeitsraum und ein größerer Bereich mit zwei Couches und einem Buffetschrank. Weiter hinten soll noch ein halber Schott für den Aufbau eingefügt werden. Julia Menzer, früher im Dornier-Museum für die MS Altenrhein zuständig, sagt: „Leider gibt es nach wie vor keine Innenansicht.“
Glück im Unglück für Bootsbauer Philipp Govaers: Weil es nur wenig Platz auf dem Schiff gibt, sind die Möglichkeiten für den Ausbau sehr beschränkt. Bisweilen, sagt er, könne er noch erkennen, wo vorher die Schotten positioniert waren. Froh ist der Bootsbauer über die rund 15 Fotos von Dornier-Werkfotograf Ziegler aus dem Staatsarchiv in St. Gallen. Sie erleichtern ihm seine Arbeit.
Besonderes Arbeiten
„Es ist immer wieder besonders, ein altes Schiff zu restaurieren“, meint der Bootsbauer. Für die Altenrhein freut ihn, dass sie „in unserer Wegwerfgesellschaft noch immer geschätzt wird.“ Er führt fort: „Das ist eine schöne Sache. Die Altenrhein ist schon jetzt besonders. Nach der Restaurierung wird ihre Besonderheit noch größer sein.“
Fühlt sich Philipp Govaers, als würde er gerade auch im Hinblick auf die Fotos mit den Schiffsdetails im übertragenen Sinn an einem Puzzle arbeiten? „Wir arbeiten in diesem Fall zwischen technischen Zeichnungen und Kunst“, erklärt er.
Philipp Govaers berichtet noch, dass die Verbindung zwischen Kiel und Außenhaut verbreitert wurde, zumal auch der Kielbereich „das Rückgrat des Bootes“ sei. Wenn die Altenrhein wieder über den See fährt, soll sie dies mit einem steckbaren und damit abnehmbaren Dach tun. Auch wird es an Bord eine Absturzsicherung und eine Notleiter geben. Sicher ist für ihn schon jetzt: „Durch die Verleimung der Außenhaut ist das Schiff fester und steifer, als es das jemals war.“
Seit einem Jahr arbeitet der junge Mann an der Altenrhein - einem Schiff mit einer „eleganten, traditionellen Form.“ Er will Gas geben, damit es bald fertig ist, und freut sich jeden Abend über „die getane Arbeit.“ Er sagt: „Man wächst da schon zusammen.“
Author: Christine Bean
Last Updated: 1703617321
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